
Pfarrerin Karin Jordak und Gemeindemitglied Elzbieta Bauersachs haben bereits zwei Gottesdienste für Tiere gestaltet. Im Interview mit Journalistin Myriam Goetz erklären sie, warum Tiere auf die Stimme der Kirche angewiesen sind.
Wozu brauchen Tiere einen Gottesdienst?
Karin Jordak: Mit dem Gottesdienst wollen wir auf das Schicksal von Nutztieren aufmerksam machen. Zum Beispiel auf Schweine, die in dunklen Ställen auf Spaltenböden leben. Kühen werden die Hörner ohne Betäubung entfernt, Küken die Schnäbel gekürzt. Diese Tiere haben unsere Unterstützung dringend nötig.
Elzbieta Bauersachs: Tiere können sich nicht wehren. Deshalb ist die christliche Kirche, die Barmherzigkeit und Nächstenliebe predigt, besonders gefragt. Wir haben uns dieser Verantwortung gestellt.
Die Tiergottesdienste richten sich also an Nutztiere?
Karin Jordak: Ja, unser Schwerpunkt sind Nutztiere – auch wenn zum Gottesdienst hauptsächlich Haustiere kamen. Die anwesenden Hunde und Katzen waren Stellvertreter für alle Tiere.
Was wollen Sie mit den Tiergottesdiensten bewirken?
Karin Jordak: Wir wünschen uns ein Umdenken bei den Menschen. Die meisten Leute konsumieren Fleisch sehr unkritisch. Aber Fleisch stammt von einer Kreatur, die in der theologischen Schöpfung einen hohen Stellenwert hat. Tiere sind keine Gegenstände, über die man beliebig verfügen kann.
Elzbieta Bauersachs: Es sind Mitgeschöpfe mit Gefühlen. Ich habe in einem Schlachthof selbst erlebt, wie Kühe panische Angst hatten und versuchten, dem Bolzenschussgerät auszuweichen. Sie mussten zusehen, wie die Kühe vor ihnen betäubt wurden und umfielen. Man geht mit ihnen um, als ob sie eine Sache wären. Das ist eine Versklavung, die mich erschüttert. Seitdem bin ich Vegetarierin.
Sollen alle Menschen Vegetarier werden?
Karin Jordak: Nein, darum geht es uns nicht, ich bin keine Vegetarierin. Aber die Menschen sollen bewusster mit dem Thema umgehen. Ich komme aus einem bäuerlichen Zuhause, in dem auch geschlachtet wurde. Es war für mich als Kind hart zu erleben, wie ein Stallhase oder ein Schwein geschlachtet wird. Das hat mich gelehrt: Fleisch ist etwas Besonderes, denn wir töten dafür ein Geschöpf Gottes. Das sollte uns, wenn wir Fleisch essen, immer bewusst sein.
Wie kommt es, dass sich Menschen über Nutztiere so wenige Gedanken machen?
Elzbieta Bauersachs: Die Fleischproduktion ist ein wirtschaftlicher Zweig. Dahinter steht die Futtermittel- und Pharmaindustrie sowie starke Bauernverbände, die den Profit nicht gefährden wollen und darum auf ein sauberes Image achten. Sie verharmlosen die Massenhaltung und Schlachtung von Nutztieren, ja sie verniedlichen das Thema geradezu.
Was meinen Sie mit vermiedlichen?
Elzbieta Bauersachs: Vor kurzem las ich ein Kinderbuch. Alle Tiere waren zufrieden, weil sie uns Menschen dienen durften. Das Pferd zog die Karre, die Kuh produzierte Milch. Nur das Schwein war unglücklich, weil es keinen Nutzen hatte. Aber dann erfuhr das Schwein, dass es zu Wurst verarbeitet wird – und war glücklich. Das ist doch unglaublich! Als ob sich die Tiere freiwillig opfern würden!
Aber Erwachsene wissen doch besser Bescheid, oder?
Karin Jordak: Die meisten Menschen wissen nicht, was in den großen Ställen und Schlachtereien vor sich geht. Man beruhigt sich damit, dass Fachleute die Tiere schlachten. Es werden schöne Worte verwendet wie ‚humanes Schlachten’, aber Schlachten ist nicht human.
Elzbieta Bauersachs: Es geht uns auch um die Art und Weise, wie überheblich wir mit einer Schöpfung Gottes umgehen. Wir mästen Tiere, wir deformieren sie. Den Schweinen werden zusätzliche Rippen angezüchtet, damit mehr Koteletts entstehen, Kühe leben mit überdimensionalen Eutern, damit sie viel Milch produzieren.
Wir sehen Tiere als Hochleistungsmaschinen ...
Elzbieta Bauersachs: Ja, und sie sind auf größtmögliche Leistung gezüchtet. Dadurch sind sie innerhalb kürzester Zeit ausgemergelt. Eine normale Milchkuh hat eine Lebenserwartung von 20 Jahren, eine Hochleistungskuh ist schon mit fünf Jahren nicht mehr wirtschaftlich und kommt zum Schlachter.
Karin Jordak: Vor einiger Zeit holte ich mir vier aussortierte Hühner aus einer dieser typischen, riesigen Anlage für Käfighühner. Obwohl sie erst ein Jahr alt waren, starben sie bald. Es war erschütternd, in welchem schlechten Zustand ich sie erhiehlt. Ein Huhn hatte keine Federn mehr am Oberkörper. Und man sagte mir, die Hühner fressen nur Mastfutter, Körner würden sie nicht kennen. Was für ein Wahnsinn, das muss man sich mal vorstellen: Hühner, die noch nie ein Korn gepickt haben!
Und? Fraßen die Käfighühner Körner?
Karin Jordak: Ja, sobald sie frei waren, pickten sie Körner und scharrten. Das war das erste Mal in ihrem Leben. Aber anfangs waren sie sehr ängstlich und scheuten die Gesellschaft der anderen Hühner. Im Laufe der Zeit integrierten sie sich und dem nackten Huhn wuchs auch ein schönes Federkleid.
Was sagt die Bibel zum Umgang mit Tieren?
Karin Jordak: Tiere sind Mitgeschöpfe, die von Gott erschaffen wurden, sie sind keine Untertanen. Darum sollten wir sie achten.
Wie haben Sie dieses Thema in den Gottesdiensten umgesetzt?
Karin Jordak: Wir sprachen Fürbitten für Tiere, sangen Schöpfungslieder und setzten uns in einer schöpfungstheologischen Ansprache kritisch mit unserem Weltbild auseinander – das ist nämlich allzu oft sehr menschenzentriert. Außerdem führte die Jugend-Tierschutzgruppe aus Erding ein Spiel auf. Darin zeigten sie den Gegensatz, wie Schweine in der Industrie und in der Natur leben. Am Ende des Gottesdienstes gab es eine Tiersegnung.
Wie haben die Menschen auf den Tiergottesdienst reagiert?
Karin Jordak: Anfangs wurden wir schon ein bisschen belächelt, auch von unseren Kirchenvorständen. Manche empfanden den Tiergottesdienst als eine abstruse Idee, aber die etwa 70 Besucher waren begeistert und ermutigten uns, weiter zu machen.
Elzbieta Bauersachs: Ich fand es traurig, dass nur die Hälfte der Besucher aus unserer eigenen Gemeinde kamen. Die anderen stammten aus der weiteren Umgebung. Wir leben hier in einer bäuerlichen Gegend und stoßen darum nicht bei jedem auf Akzeptanz.
Was konnten Sie bewirken?
Karin Jordak: Ich glaube nicht, dass allein unsere Gottesdienste eine positive Änderung hervorgerufen haben, aber vielleicht sind wir für einen kleinen Teil mitverantwortlich. Auffällig jedenfalls in unserer Umgebung: Bei einer riesigen Anlage für Käfighühner bekam man früher niemals Hühner zu Gesicht. Inzwischen laufen dort tausende von Freiland-Hühner draußen herum, scharren und picken. Das ist zwar noch nicht optimal, aber besser als vorher. Außerdem stellt einer unserer Kirchenvorstände seinen Bauernhof gerade auf Bio um.

Pfarrerin Karin Jordak und Gemeindemitglied Elzbieta Bauersachs, Johanneskirche Taufkirchen.